Balancieren zwischen Arbeit und Freizeit

Das Märchen vom Feierabend
Oder: Work-Life-Balance durch gezielte Schnittstellentaktiken erfolgreich managen
Von Ruth Stock-Homburg & Carmen Tragelehn

Durch die wachsenden Globalisierung, die steigende Wettbewerbsintensität und die rasanten technischen Entwicklung ändern sich die Anforderungen an Arbeitnehmer ständig. Neben höheren Erwartungen an die Flexibilität und die Mobilität gehören permanente Erreichbarkeit, hohe Lernbereitschaft und kontinuierliche Weiterqualifikationen zum Standardrepertoire der Anforderungen an Führungskräfte. Auch im persönlichen Bereich nehmen aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen wie Doppelverdiener-Haushalten und Alleinerziehenden die Herausforderungen kontinuierlich zu. Bei dem Versuch, diesen Anforderungen parallel gerecht zu werden, trifft der Einzelne früher oder später an seine Grenzen.Aktuelle Studien deuten darauf hin – die Erlangung einer funktionierenden Work-Life-Balance ist ein Langstreckenspiel, d. h. es braucht Zeit diese aufzubauen und erfordert ebenso zeitlichen Einsatz, diese langfristig zu erhalten. Aufgrund hoher potenzieller Kosten für den Ausfall von Führungskräften stellen Unternehmen und Wissenschaftler sich zunehmend die Frage, wie Führungskräfte unterstützt werden können, damit diese den Spagat zwischen persönlichen und beruflichen Herausforderungen besser managen können?

Wie meistert man den Zeit-Spagat?

Als Lösungswege werden bislang primär strukturelle Maßnahmen diskutiert und untersucht. Diese erstrecken sich über flexible Arbeitszeiten bzw. Teilzeit-Jobs über Gesundheitstests bis hin zu betriebseigenen Kindergärten und verlängerten Elternzeiten. Die Maßnahmen federn zweifelsohne einen Teil der Doppelherausforderungen von Führungskräften ab; dennoch verbleiben erhebliche berufliche Belastungen. Daher werden strukturelle, Work-Life-Balance förderliche Rahmenprogramme in Unternehmen zwar als wichtig, aber bei weitem nicht als hinreichend erachtet, damit Führungskräfte eine funktionierende Work-Life-Balance erlangen.

Persönliche Work-Life-Balance Taktiken sind wichtig!

Eine jüngere US-amerikanische Studie zeigt, dass es vielmehr die „weichen Faktoren“, das heißt die persönlichen Work-Life-Balance-Taktiken einer Führungsperson sind, auf die es ankommt (Kreiner und Kollegen 2009). Diese Taktiken zielen darauf ab, die Schnittstelle zwischen dem beruflichen und dem privaten Bereich in Einklang zu bringen. Es werden vier Kategorien unterschiedlicher Taktiken unterscheiden:

  • verhaltensbezogene Taktiken,
  • zeitliche Taktiken,
  • physische Taktiken und
  • kommunikative Taktiken.

Mittels dieser Taktiken können die Diskrepanzen zwischen persönlichen Wünschen und Zielen von Führungskräften, sowie den Erwartungen von Unternehmen in Einklang gebracht werden. Abbildung 1 liefert einen Überblick über einige konkrete Taktiken der einzelnen Kategorien.

Wie verhaltensbezogene Taktiken bei der Balance helfen.

Verhaltensbezogene Taktiken können sich zunächst auf das Heranziehen anderer Menschen konzentrieren. Herangezogen werden solche Personen des sozialen Umfeldes, welche die Work-Life-Balance einer Führungsperson beeinflussen können. So können beispielsweise Assistenten wertvolle Filter für Anfragen unterschiedlicher Wichtigkeit sein. Andere Menschen werden zumeist bewusst herangezogen. Technologische Entwicklungen eröffnen neue Formen der Erreichbarkeit von Managern im beruflichen wie privaten Kontext. Permanente Erreichbarkeit in beiden Lebensbereichen kann einerseits Probleme mit der Work-Life-Balance generieren. Andererseits können Manager Informationstechnologien nutzen, um Beruf und Privatleben besser zu integrieren. Die Nutzung von Technologien kann eine sinnvolle Bereicherung der Work-Life-Balance sein; falsch verstanden können neue Technologien dagegen zu „unsichtbaren Fesseln“ für Manager werden.

Eine dritte verhaltensbezogene Taktik ist im konsequenten Priorisieren beruflicher und privater Anforderungen zu sehen: Deadlines müssen eingehalten werden und Kunden müssen zufriedengestellt werden, gleichzeitig wird das Kind krank oder das Auto muss zur Reparatur … Notwendig sind dann schnelle und effiziente Entscheidungen, welche Krise oder welches Problem das Wichtigste ist und sofortiges Handeln. Teil einer hohen Effizienz in solchen Situationen ist eine bewusste, grundlegende Priorisierung wichtiger Lebensbereiche vorab.

Der Zeit-Aspekt: Wer hat an der Uhr gedreht?

Steigende Arbeitsbelastungen, zunehmende Mobilität, neue Technologien und das Arbeiten über Zeitzonen hinweg erfordern strategische Entscheidungen des Einzelnen hinsichtlich zeitlicher Aspekte rund um die Arbeit. Als Schnittstellentaktik in diesem Zusammenhang ist die Kontrolle der Arbeitszeit zu nennen. Hierzu zählt beispielsweise das Freihalten spezifischer Zeiträume für bestimmte Dinge wie konzeptionelles Arbeiten, Besprechungen oder Aktivitäten mit der Familie. Eine zweite Taktik repräsentiert die Definition von Auszeiten. Regelmäßige Zeiten zur persönlichen Erholung (z. B. Pausen oder Urlaub) verbessern nachweislich die Work-Life-Balance sowie die eigene Gesundheit und Leistungsfähigkeit.

Physisch zu einer besseren Work-Life-Balance

Zu den physischen Taktiken gehört unter anderem das Anpassen physischer Schnittstellen. Dies kann z.B. bedeuten, keine Arbeit mit nach Hause zu nehmen und so physische Barrieren zwischen den Lebensbereichen aufzubauen. Ist dies nicht möglich, z. B. wenn Arbeit mit nach Hause genommen werden muss, kann es sinnvoll sein, bewusst festzulegen, in welchen Räumen gearbeitet wird und in welchen nicht. Das Managen physischer Artefakte zielt ebenfalls auf die bewusste Handhabung physischer Barrieren ab. Artefakte sind physische Repräsentationen einer Kultur, eines Lebensbereichs oder einer bestimmten Identität. Sie sind allgegenwärtig im täglichen Leben und können beispielsweise die Arbeit oder das Privatleben symbolisieren. Ein typisches Artefakt, welches in diesem Zusammenhang genannt werden kann, ist der Kleidungsstil. Viele Personen haben hier klare Regeln, welche Kleidung für private Zwecke und welche für die Arbeit bestimmt ist. Ein anderes Thema ist die Post bzw. Emails: Gibt es getrennte Email-Accounts für beide Lebensbereiche? Wird berufliche Post auch nach Hause geschickt? Außerdem zählen zu den Artefakten auch Kleinigkeiten, wie: ein gemeinsamer Schlüsselbund oder jeweils für jeden Bereich einen? Fotos der Familie auf dem Schreibtisch bei der Arbeit oder nicht?

Schweigen ist Silber, Reden ist Gold!

Die letzte der vier Kategorien schließlich umfasst kommunikative Taktiken. Hierzu gehören das Setzen von Erwartungen und das Sanktionieren von Störungen. Das Setzen von Erwartungen meint eine klare Kommunikation von Präferenzen hinsichtlich der Grenze zwischen Arbeit und Privatleben an alle wichtigen Personen der beiden Lebensbereiche. So könnte man der eigenen Familie spezifische Zeiten der Erreichbarkeit artikulieren, aber auch Personen aus dem Arbeitsumfeld klar sagen, wann bzw. in welchen Fällen man zu Hause noch erreichbar ist und wann nicht. Damit diese kommunizierten Erwartungen auch erfüllt werden, ist es wichtig auf deren Einhaltung durch die betreffenden Personen zu achten und Verstöße entsprechend zu sanktionieren. Möglich wäre etwa, einem störenden Anrufer zu sagen, dass die Angelegenheit nicht dringend ist und zu einem späteren Zeitpunkt mit Termin besprochen werden kann.

Welche Taktik verspricht den schnellsten Erfolg?

Ergebnissen unserer neuesten Studie zufolge, werden verhaltensbezogene Taktiken von vielen Führungskräften bereits sehr häufig eingesetzt. Umfassende Verbesserungsmöglichkeiten bestehen dagegen vor allem bei den kommunikativen Taktiken. Die stärksten positiven Effekte auf die eigene Work-Life-Balance haben die Taktiken „Definition von Auszeiten“ und das „Heranziehen anderer Menschen“. Die zuvor dargelegten Schnittstellentaktiken können strukturelle Programme in Unternehmen sinnvoll ergänzen. Dies ist nicht nur aus Sicht des Einzelnen von hoher Relevanz, sondern bedeutet aus Unternehmensperspektive aufgrund des gesteigerten Commitments, höhere Kreativität und höhere Leistungen der Führungskräfte. Positiv hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass das Wissen um die hier vorgestellten Taktiken problemlos weitergegeben und trainiert werden kann, auch wenn es sicherlich individuelle Unterschiede bei der optimalen Handhabung der Taktiken zu berücksichtigen gilt.
_________________________________
Der Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung von den Autorinnen:

Univ.-Prof. Dr. Ruth Stock-Homburg
Leiterin des Fachgebiets Marketing & Personalmanagement TU Darmstadt
und
Dipl.-Psych. Carmen Tragelehn
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Marketing & Personalmanagement
TU Darmstadt

Das Fachgebiet Marketing & Personalmanagement möchte wissenschaftliche Erkenntnisse in ausgewählten Gebieten der marktorientierten Unternehmensführung auf internationalem Spitzenniveau generieren. Das interdisziplinäre Team besteht aus Wissenschaftlern aus den Disziplinen BWL, Psychologie, Wirtschaftsingenieurwesen und Wirtschaftsinformatik.