Buchrenzension: Payback von Frank Schirrmacher

„Wir erleben gerade in Echtzeit, wie eine Gesellschaft unwiderruflich die Fundamente ihres Weltbildes ändert.“
Der vielfach preisgekrönte Autor (Das Methusalem-Komplott) und Leiter des Feuilletons, sowie Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, zeichnet in seinem Buch „Payback“ ein bedrohliches Bild einer Gesellschaft, die sich mehr und mehr der Informationsflut des Internets und der Dominanz der Computer ausliefert. Dabei sieht sich der Autor keineswegs als technikfeindlicher Kulturpessimist. Nein, er selbst erlebt am eigenen Leib, wie die Abhängigkeit von Emails, SMS und Tweets ihn und uns verwandelt.

Im ersten Teil des Buches: „Warum wir tun, was wir nicht tun wollen“, wird ausführlich und mit einer Vielzahl von Zitaten belegt dargestellt, wie sich die neuen Technologien auf unser Leben und unser Denken auswirken. Im Zentrum dieser Überlegungen steht die Furcht vor der Veränderung unserer Gehirne durch die Rechnertechnologie und der zunehmende Verlust von längerfristiger Aufmerksamkeit. Auch sei die Multi-Tasking-Fähigkeit, die diese Technologien von uns, ihren Usern, erwarten nicht trainierbar. Wir werden durch Üben nicht besser, sondern immer schlechter. Menschen seien „Informavores“, würden also ständig nach neuen Informationen suchen, das nutzen Internet und Co aus und wir verwandeln uns immer mehr in maschinengerechte Wesen. Bei dieser ständigen Suche nach Informationen verlieren wir zunehmend die Unterscheidungsfähigkeit zwischen wichtigen und unwichtigen Wissensbausteinen.

Im zweiten, kürzeren Teil: „Wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen können“ werden mehrere Experimente beschrieben, die zeigen wie sich unsere Wahrnehmung verändert und die Forderung an Schulen und Hochschulen gestellt in der Ausbildung die Eigenschaften und Fähigkeiten zu stärken, die Rechner nicht besitzen: Unschärfe und die daraus resultierende Kreativität.

Leider bleibt das flüssig geschriebene Buch seltsam vage sowohl in der Zielrichtung der Warnung als auch besonders in der der Lösung. Obwohl mehrfach das Gegenteil behauptet wird, weht eine unterschwellige Furcht vor der Rechnertechnologie, dem Internet und der damit verbundenen Überforderung und dem Kontrollverlust durch die Zeilen.

Die zentrale Sorge der Veränderung unserer Gehirne ist, wie uns die Neurowissenschaften lehren, unbegründet weil unvermeidlich. Unsere Gehirne ändern sich ständig und passen sich den gegebenen Umständen an. Dass wir seit der Verfügbarkeit von Taschenrechnern nicht mehr gut in Kopfrechnen sind und keine entsprechenden Tricks mehr zur Verfügung haben, mag man bedauern. Wir können es nicht mehr, weil wir es nicht brauchen. Das heißt aber nicht, dass wir es nicht in gleichem Maße lernen könnten wie unsere Grosseltern, wenn es erforderlich wäre.
Wie die Lernforschung weiß, gibt es dabei möglicherweise Zeitfenster, die einzuhalten sind. Wenn also das Lesen von Büchern eine Fähigkeit ist, die für unsere Kinder unabdingbar notwendig ist, so müssen wir dafür sorgen, dass sie diese Fähigkeit in dem entsprechenden Alter erwerben. Das mag der richtigere Grund sein Kindergärten oder auch Grundschulen nicht schon mit Rechnern auszustatten, nicht die von Schirrmacher vermutete veraltete Technik, die die Kinder lernen.

Das Internet bietet allen, die dazu Zugang haben, eine nie da gewesene Fülle von Informationen, bis hin zu den Geheim-Dokumenten in Wikileaks. Diese Freiheit im Zugang zu Informationen bringt allerdings die Verantwortung mit sich, diese Informationen nach den Kriterien wichtig und richtig einzuordnen. Diese Einsicht scheint sich erst langsam durchzusetzen, ist aber die notwendige Folge des allgemeinen freien Zugangs zu (fast) allen Informationen. Auch das erscheint eine Fähigkeit zu sein, die wir unseren Schülern und Studenten beibringen müssen.
Denn Mehrheitsentscheidungen über richtig und falsch funktionieren sogar bei Günter Jauch nicht immer und sind bei Rechtschreibregeln endgültig absurd.
Nicht umsonst gelten Wikipedia Artikel als ungeeignete Quellen für saubere wissenschaftliche oder journalistische Arbeit.
Keiner von uns wünscht sich allerdings Zeiten zurück, in denen kirchliche oder weltliche Obrigkeiten den Menschen sagten, was sie zu glauben haben. Aber unsere Emanzipation hat, wie alles, seinen Preis.
Die Befähigung einer Sache über längere Zeit Aufmerksamkeit zu schenken ist ebenfalls eine Grundfertigkeit, die wir alle haben müssen. Die Klagen der Lehrer über den Mangel an Konzentrationsfähigkeit ihrer Schüler legen den Schluss nahe, dass dies gezielt und umfassend geübt werden muss.
Die menschliche Informationsaufnahme erfolgt nun einmal grundsätzlich nach den Kriterien neu und wichtig. Deshalb sind wir so leichte Opfer für sich ständig als neu etikettierende Informationen.
Es war allerdings auch schon immer so, das wirklich wichtige Leute nicht jederzeit und vor allem nicht von jedem erreichbar sind. Technische Lösungen, wie intelligente Filter, können diesen abschirmenden Luxus für alle verfügbar machen.
Und wenn wir uns wirklich einmal auf eine Aufgabe oder einen Mitmenschen konzentrieren wollen, dann bleibt ja immer noch der Ausknopf. Den öfter und ohne schlechtes Gewissen zu benützen scheint die Fähigkeit zu sein, die wir am dringendsten lehren und lernen müssen.

Fazit: ein unterhaltsames, quellenreiches Buch über den Zustand der Informationsüberflutung des modernen Menschen, wenn auch in der Schlussfolgerung nicht unbedingt stringend.

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Wir bedanken uns herzlich beim Rezensor: Ernst Assmann
Ernst Assmann
geb. 4.9.1947 in Kempten/Allgäu Verheiratet, 4 Söhne
Abitur am Pestalozzi Gymnasium in München
Studium der Physik an der TU München
10 Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ergonomie der TU München dazwischen Promotion
20 Jahre in der Ergonomieabteilung der BMW AG
seit 1989 Lehrauftrag an der FH München: Biophysik und Ergonomie
seit 2003 Assistenz bei Ausbildungen in Suggestopädie durch Ingrid Assmann
Hobbys: Tanzen, Lesen, Bootsbau, Kanada

Herr Dr. Assmann ist ein geschätzter Kollege aus dem Umfeld der DGSL.
Bildnachweis: Das Coverbild stammt aus dem Pressebereich des Verlages.