
Fachkräftesuche einfacher gestalten – Rekrutierungsmethoden müssen nicht teuer, aber pfiffig sein.
Stellen Sie sich vor, Sie beauftragen für die Rekrutierung von neuen Auszubildenden Ihre eigenen Azubis und kommen so zu hervorragenden Nachwuchskräften! Gibt’s nicht? Natürlich gibt es das, aber vielleicht noch nicht bei Ihnen!
Dieses Vorhaben könnte man durchaus als ein besonderes Projekt innerhalb der Ausbildung durchführen. In den meisten kaufmännischen Ausbildungsgängen ist das Thema Personal so oder so Teil des Ausbildungsrahmenplans. Stellen Sie sich also noch mal vor, dass Sie Ihre Auszubildenden, die bereits im dritten Ausbildungsjahr sind, beauftragen, ihre eigenen Nachfolger zu suchen.
Aber warum sollten Auszubildende, auch wenn sie ihre Ausbildungszeit schon fast absolviert haben, die besseren Personaler sein? Wir wissen, dass Auszubildende im Regelfall ihre Ausbildung als einen Wert an sich begreifen. Sie sind stolz darauf, Teil eines Unternehmens zu sein und kommunizieren das auch. Sie kennen nach zwei Jahren das Unternehmen in vielerlei Hinsicht sehr genau. Sie kennen die Mitarbeiter, sie kennen die Vorgesetzten, sie kennen Schwachstellen, sie kennen die Anforderungen während der Ausbildung und darüber hinaus und sie wissen intuitiv, wer hier sonst noch so in die „Mannschaft“ passen könnte. Neudeutsch könnte man sagen: gute Auszubildende kennen die Unternehmenskultur und wesentliche Prozessabläufe. Nicht selten kennen sie das Unternehmen auf der operativen Ebene, vor allem bei den mitarbeiterdominierten informellen Abläufen detaillierter und konkreter als die Personalverantwortlichen. Auszubildende kennen in der Regel jede Abteilung des Unternehmens! Warum? Weil sie bei verordnungskonformen und sinnvoll gestalteten Ausbildungsplänen in allen wesentlichen Bereichen des Unternehmens ausgebildet werden. Also wissen sie, was läuft und worauf es ankommt, um einen guten (Ausbildungs-)Job zu machen.
Wenn wir uns bei der Analyse darüber einig sind, dass gute Auszubildende das tatsächlich notwendige Leistungsniveau richtig einschätzen können, um in „ihrem“ Betrieb eine gute Ausbildung zu machen, inklusiver aller formalen und informellen Rahmenbedingungen, inklusive des notwendigen Wissens über die Abläufe und Anforderungen in der Berufsschule, dann liegt eines auf der Hand: diese Mitarbeiter wissen genau, wen sie in ihrem persönlichen Umfeld suchen müssen, damit ein „würdiger“ und potentiell erfolgreicher Nachfolger für sie selbst nachrücken kann.
Eigentlich müssten die Personalverantwortlichen jetzt zum Handeln angeregt worden sein. Könnte es nach intensivem Nachdenken über diese Idee tatsächlich sein, dass der Vorschlag „erfolreicher Azubi sucht sich seinen Nachfolger“ in vielerlei Hinsicht besser und kostengünstiger sein könnte als bisherige Vorgehensweisen? Das Risiko, das man mit der probeweise Umsetzung dieser Idee eingeht, ist sicherlich nicht höher als das, was wir bei unserem aktuellen Rekrutierungsverfahren in Kauf nehmen. Zumindest benötigt man keine zusätzlichen Mittel für einen Versuch, da alle benötigten Ressourcen bereits im Hause verfügbar sind.
Gleichwohl muss ein klarer Verfahrensablauf mit den Personalverantwortlichen geschaffen werden, in dem die „Leitplanken“ für dieses Pilotprojekt festgezurrt werden. Weiterhin sollte klar sein, dass die finale und formale Entscheidung in der Personalabteilung bzw. beim Chef oder der Chefin bleiben muss. Denn es gibt durchaus Aspekte der Entscheidungsfindung, mit denen Mitarbeiter im Auszubildendenstatus noch nicht vertraut sein können.
Die Vorgehensweise bei dieser neuen authentischen Rekrutierungsmethode (social environment recruting method, um der Idee einen Namen zu geben) wird sicherlich weniger durch die Schaltung einer Annonce geprägt sein, sondern eher durch die Fragestellung im persönlichen Umfeld der Auszubildenden: „Hast Du Lust, mit mir in meinem Betrieb dafür zu sorgen, dass Menschen sich gut und günstig ernähren können… oder …hervorragende Fahrräder aus unserer Fabrik kaufen können?“ Vielleicht mag die Wortwahl etwas gestelzt klingen, aber: im Kern würden Jugendliche Gleichaltrigen gegenüber „die“ passende Ansprache finden und bei Interesse alle Informationen authentisch kommunizieren. Und darüber hinaus wissen Ihre Auszubildenden, wo sie die „Richtigen“ für ihre Nachfolge finden. Sie gehen wahrscheinlich im privaten Umfeld miteinander um, sie besuchen dieselbe Schule oder sie sind im selben Sportverein. Es sind die Freunde ihrer Geschwister oder der Nachbarsjunge. Wahrscheinlich würden Ihre Auszubildenden niemals an eine anonyme Zielgruppe herantreten müssen, im Gegensatz zu einem Unternehmen. Das sind hervorragende Grundbedingungen für eine erfolgreiche Rekrutierung. Jeder Personalberater würde über eine solche Grundsituation bei seinen eigenen Aufgaben frohlocken.
Und die nach dieser Grundidee rekrutierenden Auszubildenden würden sicherlich eher strenge Maßstäbe anlegen. Dabei ist es selbst erklärend, dass es solche Auszubildende sein sollten, die vom Unternehmen nach erfolgreicher Abschlussprüfung eine Übernahmeoption erhalten haben. Dann ist es höchstwahrscheinlich gewährleistet, dass man sich einen engagierten und motivierten zukünftigen Nachfolger aussucht, der ins Unternehmen passt und gegebenenfalls in ein paar Jahren zuverlässig den nächsten Azubi ins Unternehmen holt.
Es ist zu vermuten, dass so auch das unfaire Verhalten einiger Azubis ausbleibt, einen Ausbildungsplatz ohne Absage einfach nicht anzutreten, weil hierbei eine gewisse soziale Kontrolle vorhanden ist. Weiterhin ist vorstellbar, dass die Einschätzung des Bewerbers durch den Auszubildenden breiter und tiefer möglich ist als in einem kurzen Bewerbungsmappencheck inklusive Vorstellungsgespräch. Damit kann das Risiko des Ausbildungsabbruchs verringert werden.
Alle Gespräche mit Personalverantwortlichen waren sehr ermutigend. Es wird dazu Versuche in Unternehmen geben. Wir sind davon überzeugt, dass die Ergebnisse erfolgreich sein werden. Letztlich ist es eine intelligentere und charmantere Organisation der bereits vorhandenen Ressourcen im Unternehmen. Und zudem ist es eine Antwort auf die These, dass der Fachkräftemangel ein gutes Stück weit Managementversagen ist.
Es versteht sich von selbst, dass die Idee „Erfolgreicher Azubi sucht seinen Nachfolger“ nicht in allen Belangen besser ist als das, was wir heute machen. Aber es ist ein interessanter Perspektivwechsel mit Aussicht auf Erfolg. Wenn wir ihn mit den Erfahrungen und den methodisch bewährten Aspekten unserer Personalarbeit verknüpfen, werden wir bei der Rekrutierung noch bessere Ergebnisse für unsere Unternehmen gewinnen.0071a1
Der Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung des Autors,
Herrn Dr. Thomas Hildebrandt,
Geschäftsführer Aus- und Weiterbildung bei der Oldenburgischen IHK
www.ihk-oldenburg.de
Wir bedanken uns herzlich für die Kooperation und hoffen, dass die Anregungen vielen Unternehmen neue Impulse geben kann. Gerne helfen wir bei einer Kontaktaufnahme mit Herrn Hildebrandt oder unterstützen Sie bei der Umsetzung von „Azubi-Recruting“-Ideen. Ein Dialog, beginnend mit einer Initiative von Ihrer Seite über unser Kontaktformular, ist sicherlich fruchtbar.
Matthias C. J. Dannhorn